(01)
Der angesprochene Brief vom 8. Januar 2013 war gerichtet an den Vorsitzenden der Geschäftsführung eines IT-Dienstleisters für Banken. Der Vorsitzende war bei Xing recherchiert worden, sein Foto wirkt freundlich. Allerdings hatte es lange keine Aktivitäten mehr gegeben, wie oft bei Xing-Profilen. Zwischen dem Vorsitzenden und dem Antwortenden besteht keine Beziehung.

(02)
Der IT-Dienstleister veranstaltet einen Kongress, bei dem es naheliegend auch um IT-Themen geht.

(03)
Als Vortragsthema für den Kongress habe ich das Thema „Sinn und Unsinn von E-Mail-Regeln“ vorgeschlagen. Das Thema habe ich nicht weiter ausgeführt, mir war wichtig, Aufmerksamkeit zu bekommen. Allerdings liegt für die Banken das Thema nahe: zum einen wird auf meiner Web-Site (klar-schreiben.de) häufig danach gesucht, zum anderen haben Banken (unter anderem die Sparkassen Finanzgruppe und die kriselnde UBS) in dem Wettbewerb der Service-Antworten 2012 schlecht abgeschnitten.
Auf den Wettbewerb hatte ich in einem Post Skriptum hingewiesen, was ja angeblich auf jeden Fall gelesen wird.

(04)
Die Absage I. besteht aus fünf einfachen Sätzen. Der erste Satz [S1] baut einen „Bezug“ auf zu meinem Brief, obwohl dieser „Bezug“ bereits im Subject / Betreff der E-Mail genannt wird.

(05)
Dem Antwortenden scheint besonders der Adressat meines Briefes am Herzen zu liegen, anders sind die vier konkreten Angaben nicht zu verstehen. Angabe eins besteht in dem Possessiv-Pronomen [unseren], Angabe zwei führt den [Vorsitzenden] ein, Angabe drei stellt fest, dass es der [Vorsitzende der Geschäftsführung] ist, Angabe vier bringt den vollständigen Namen des Vorsitzenden.
Vorstellbar ist, dass der Antwortende hier eine persönliche Wertung einfließen lässt, etwa in dem Sinne: Wie können Sie sich nur direkt an den Vorsitzenden wenden, Skandal!

(06)
Der Satz zwei [S2] enthält den Standard-Dank, der üblicherweise inzwischen ohne eine Person auskommt. Deswegen ist unklar, ob es sich um den Dank des [Vorsitzenden] handelt oder um den des Antwortenden. Hätte man auf eine persönliche Nähe oder gar auf ein mögliches Gespräch vor der Antwort hinweisen wollen, man hätte mit den Personalpronomen [Er bedankt sich …] oder [Wir bedanken uns …] arbeiten können. Man verzichtet.

(07)
Im Satz drei [S3] wird man dagegen sehr konkret. Denn [Wir] haben [keinen Bedarf], sich mit dem „Sinn und Unsinn von E-Mail Regeln“ auseinanderzusetzen. Denn [Sie] können uns nichts erzählen. Das nennt man „eine klare Ansage“.
Allerdings wird diese Ansage auf den zweiten Blick etwas wackelig. Denn [keinen Bedarf für etwas], diese Formulierung ist mindestens ungewöhnlich, wenn nicht sogar unkorrekt. Denn [einen Vortrag durch jemanden], auch diese Formulierung ist mindestens ungewöhnlich, wenn nicht ebenfalls unkorrekt.
Aber Sprache lebt, auch bei Banken und in Banken, und deswegen finde ich den Hinweis auf meinen Beruf des Linguisten so wichtig in der heutigen Zeit.

(08)
Der vierte Satz [S4] ist dann die Standard-Vertröstung, auch wenn sich der Antwortende mit dem Pronomen [ich] in die Verantwortung nimmt. Allerdings wird IT und Ökonomie hier semi-juristisch; ich wittere dieses förmlich wegen meiner häufigen Schöffentätigkeit am Landgericht.
Die [Unterlagen] sind es zwar noch nicht ganz, aber wie ein einfacher Brief ohne Anlage zu einer [Unterlage] aufgewertet wird, dieses schaffen eigentlich nur Juristen. Aber dann, dann wird von [Akten] gesprochen, und dann wird von einem [Bedarfsfall] gesprochen. Der Deutlichkeit wegen, von einem [Bedarf]+[s]+[Fall].
In dem vorangehenden Satz wurde noch von [Bedarf] geschrieben, aber möglicherweise hatte der Antwortende die Aufsatzregel im Kopf, keine Wiederholungen! Um diese zu vermeiden, erweitert man die Sache und führt den [Fall] ein.
Kurze Erinnerung: Sinn und Unsinn von Regeln, das war mein vorgeschlagenes Thema.

(09)
Satz fünf [S5] wartet mit der Standard-Höflichkeit auf, dass man nämlich [für Fragen] selbstverständlich / natürlich / wie könnte man etwas anderes annehmen [zur Verfügung] steht.

(10)
Immerhin bringt sich der Antwortende persönlich häufig ein, indem er das [ich] verwendet; vielleicht getreu der - für mich zweifelhaften - Kommunikations-Regel der „Ich-Botschaft“. Fünf Sätze umfasst die Antwort, drei Sätze enthalten das [ich], also 60%, ökonomisch ein sehr guter Wert. Im ersten Satz wird das [Ich] gleich an der ersten Stelle gebracht, mutig! Sehr schade ist, dass sich alle drei [Ichs] mit Phrasen verbinden: Bezug nehmen [S1], zu den Akten nehmen [S4], zur Verfügung stehen [S5].

(11)
Bei derart häufiger [Ich] -Präsenz muss scheinbar in der Verabschiedung ein Ausgleich geschaffen werden; man nennt das einen Kurzsatz, eine Ellipse, diese wie hingetupften [Grüße], ohne Person.

(12)
Fazit: Banken brauchen das Vertrauen des Marktes. Ein Bank IT-Dienstleister braucht dieses Vertrauen gleich in zweifacher Hinsicht; einmal gegenüber seinen Auftraggebern, und zum anderen weil er ja auch immer im Namen der Banken gegenüber der Öffentlichkeit und auch gegenüber einem Kunden, der nun zufällig Linguist und Trainer ist, handelt, schreibt und mit einer so formulierten E-Mail auf einen freundlichen Brief antwortet. Vertrauen weckt das Geschriebene leider kaum ...

P.S. Fairerweise muss gesagt werden, dass es zwei Anrufversuche gegeben hat, aber ich bin nunmal telefonisch schwer zu erreichen. Die Antwort als E-Mail zu schicken, das passt.